Esoterik – Ersatz-Religion oder Weg in die Abhängigkeit?
Esoterische Bewegungen haben in unserer Gesellschaft die Funktion von Ersatz-Religionen übernommen. Sie stiften Sinn und zeigen neue Wege zu Selbsterfahrung und Erkenntnis auf. Doch die starke Faszinationskraft der Esoterik birgt auch große Risiken für labile Persönlichkeiten.
Religion - ein Grundbedürfnis
Fast alle Menschen fragen sich irgendwann nach dem Sinn des Lebens. Sie suchen nach geeigneten Wegen zu einer richtigen und guten Lebensführung. Sie sehnen sich nach Glück und Erfüllung im Diesseits. Sie wünschen sich befriedigende Antworten auf die Frage, was dereinst im Jenseits mit ihnen geschieht. Antworten auf diese Fragen zu liefern - das war Aufgabe und Privileg der Religionen und Philosophen. Zu allen Zeiten, in allen Kulturen.
Je weniger die Menschen im Glauben an traditionelle Religionen verwurzelt sind, je weniger echte oder selbst ernannte Philosophen zureichende Antworten auf die drängenden Fragen finden, desto stärker rückt die Esoterik in den Vordergrund.
Macht Esoterik abhängig?
Grundsätzlich kann beinahe alles abhängig machen. Die unterschiedlichen Richtungen der Esoterik wie zum Beispiel die Anthroposophie sind für sich genommen neutral. Es handelt sich um Theorien und Konstrukte, die sich einer Beweisführung entziehen. Man kann daran glauben. Oder eben auch nicht. Bedenklich werden esoterische Bewegungen erst, wenn charismatische Gurus Abhängige unter den Suchenden finden. Wenn narzisstische Menschen esoterische Konstrukte mit einem absoluten und dogmatischen Anspruch vermitteln und sich gleichzeitig selbst als Wissende präsentieren. Als Berufene und Auserwählte, die selbst angeblich auf einer höheren spirituellen Entwicklungsstufe angelangt sind und begabt mit außergewöhnlichen Fähigkeiten.
Sucht der Suchenden
Den (selbst ernannten) Erleuchteten und Eingeweihten steht eine potenzielle Anhängerschar mit entsprechender Persönlichkeitsstruktur gegenüber. Eine Gefährdung stellt die Esoterik vor allem für Personen dar, die kein gutes Selbstwertgefühl besitzen und nicht in sich gefestigt sind. Sie suchen intensiv nach Halt im Außen. Auf solche Menschen üben esoterische Strömungen eine besonders starke Sogwirkung aus. Weil sie für sich in Anspruch nehmen, die Welt „erklären“ zu können und den „richtigen Weg“ zu Freiheit, Glück und Selbstverwirklichung zu kennen. Sie geben (scheinbar) einfache und klare Regeln der Lebensführung vor, vermitteln (vermeintlich) Orientierung und Sinnhaftigkeit.
Esoterik-Gurus – Meister der Illusion
Esoterik-Gurus behaupten, Dinge zu wissen, die anderen verborgen sind. Dinge, die ausschließlich Erleuchtete und Eingeweihte wissen können. Und das Fatale daran: Erleuchtung kann man in vielen Bereichen der Esoterik nach althergebrachten Traditionen nur mit Hilfe eines „Meisters“ erlangen. Zum Erwerb der Fähigkeiten oder Erkenntnisse bedarf man der Führung - durch einen Guru. Dem man sich und oft auch sein Leben vollkommen anvertraut.
Gesunder Menschenverstand?
Die esoterischen Abwege werden den Suchenden regelmäßig als uralte Weisheitslehren und Erkenntnisse des „gesunden Menschenverstandes“ verkauft. Man darf sich jedoch fragen: Wie steht es um die Weisheit bzw. geistige Gesundheit eines Menschen, der sich mit Haut und Haar der Esoterik verschrieben hat und seine Ideologie missionarisch predigt? Oder, viel schlimmer noch: Wie steht es um die moralische Verfassung eines Kämpfers für die gute Sache, der den Weg propagiert, um andere zu benutzten und dabei nur eigene Interessen verfolgt? Zum Beispiel Macht oder finanzielle Bereicherung. Und: Wie gesund ist wohl der Menschenverstand eines Abhängigen?
Esoterik - ein Erkenntnisweg, keine Sackgasse
Die Antworten auf die letzten Fragen werden wir nie erhalten. Die Suche sollten wir dennoch nicht aufgeben. Esoterik kann ein Weg sein, sich selbst zu finden. Esoterische Methoden, Theorien und Konstrukte können durchaus inspirierend sein. Man kann sie zur Selbsterfahrung oder zur Meditation nutzen. Man kann dadurch eigene Vorstellungswelten erweitern und seine Wahrnehmung für die Realität schärfen. Man sollte jedoch nie die Brücken ganz abbrechen und sich immer die Türen zur Realität offen halten. Alles andere führt in die Abhängigkeit.
Das perfide an der Esoterik sind nicht die Lehren selbst, sondern die selbst ernannten Gurus und Meister, die ihre Macht missbrauchen und die Schwäche von naiven, suchenden, oft unglücklichen und desorientierten Menschen ausnutzen.