Vom ES zum ICH zum DU
Wir machen vom ersten Tag unseres Lebens an Erfahrungen. Doch kurz nach der Geburt kann man sich das menschliche Bewusstsein wie eine Art leeres Gefäß vorstellen. Einmal abgesehen von den Inhalten des kollektiven Unbewussten wie Kultur, Geschichte oder Ahnen. Dieses Gefäß wird durch das Leben nach und nach mit Erlebnissen, Empfindungen und Eindrücken angefüllt. Das erklärt auch, warum die ersten Erfahrungen im Leben eines Menschen etwa bis zum 3. Lebensjahr die prägendsten sind. Sie bilden das Fundament. Alles, was später hinzu kommt, wird damit verwoben und davon beeinflusst.
Das Neugeborene lebt vollkommen im ES. Es ist ein egoistisches kleines Wesen, das lautstark die Erfüllung seiner Bedürfnisse einfordert. Sofort. Gleichzeitig entwickelt sich mit jeder einzelnen Wahrnehmung das Bewusstsein des Kleinkindes. Die Interaktion mit der Mutter ist absolut prägend für diese ersten Sensationen. Die Mutter ist der Quell der Nahrung, der Geborgenheit und des Gefühls von Selbst-Sicherheit.
Kommt die Mutter, wenn das Kind schreit, kann es Ur-Vertrauen entwickeln. Es lernt nach und nach erste Grenzen und Regeln kennen, beispielsweise wenn die Mutter das Kind auf das Fläschchen warten lässt, weil dieses erst noch gewärmt werden muss. Und irgendwann macht das Kind die sensationelle Entdeckung, dass die Hand der Mutter nicht die eigene Hand ist. Es beginnt, ICH und DU zu unterscheiden.
Das sind die Anfänge eines ICH, eines Selbst-Bewusstseins. Diese Entwicklung vollzieht sich über die gesamte Entwicklung in der Kindheit und wird in Form einer Wechselbeziehung vorwiegend vom unmittelbaren Erleben und Verhalten der primären Bezugspersonen geprägt. Je nachdem, ob wir unser Umfeld liebevoll und zugewandt, sehr streng oder gar desinteressiert erleben, verhalten wir uns entsprechend zurück: Wir öffnen uns dem Leben oder befolgen nur blind die Regeln, weil wir Strafe fürchten. Diese unbewussten Einstellungen und Verhaltensweisen formen unseren Charakter.