1. FCN - aus dem Leben eines Clubberers
Klein Peter war gerade ein Jahr alt geworden, als er zusammen mit seinem Papa ein Fußballspiel am Radio verfolgte. Der Club siegte. Peters Papa brüllte. Klein Peter brüllte mit. Seither besitzt Peter eine Dauerkarte. Der Club war sein Schicksal. Das kann man sich schließlich auch nicht einfach aussuchen.
Wieso sollte sich irgendjemand, der bei halbwegs klarem Verstand ist, aus freien Stücken für den Club entscheiden? Früher, da war der 1. FCN noch ein Begriff. Verdammt lang her. Einzigartig ist der Verein jedoch bis heute. Als Rekordmeister und als Rekordabsteiger. Früher hieß es: Der Club kämpft nur dann nicht gegen den Abstieg, wenn er gerade abgestiegen ist. Inzwischen ist auch das nicht mehr ganz richtig, denn der Club kämpft inzwischen gegen den Abstieg in die 3. Liga.
Eine Dauerkarte beim Club ist ungefähr wie eine Eintrittskarte für die Achterbahn. Nur eben lebenslänglich und natürlich viel wichtiger. Ungefähr genauso wichtig wie der Personalausweis. Ihr Abhandenkommen bedeutet nämlich für den Glubberer nichts weniger als den Verlust seiner Identität.
Schlechte Zeiten? Schlechte Zeiten!
Die Beziehung zum Club ist ein Lebensgefühl. Irgendwo zwischen Leid, Hingabe und beständiger Wehmut. So einzigartig wie der Club selbst eben. Und vor allem: Inniger als die Beziehung zu beinahe jeder Frau im Leben eines Mannes. Der Club ist wie eine gute Mutter. Er wird sich niemals gegen dich entscheiden und du kannst immer zu ihm zurückkehren.
Nur ein Glubberer weiß, wie nahe Freud und Leid beieinander liegen. Gemeinsam mit 40.000 anderen Fans pilgert er alle zwei Wochen in die Arena. Die jetzt endlich nach seinem Idol Max Morlock benannt wurde. Dem Helden des fränkischen Fußballs aus besseren Zeiten.
Der Club ist ein Depp*
Der Club bricht alle Rekorde. Ihm ist so manches Kunststück gelungen, das kein Verein je zuvor hingekriegt hat. Rekordmeister ist der 1. FC Nürnberg vor allem beim Absteigen. Nur ihm ist es bislang gelungen, gegen einen Sechst-Ligisten zu verlieren. Nur der Club hat es geschafft, Tasmania Berlin, dem allerschlechtesten Bundesligisten, den die Fußballgeschichte bis dahin gesehen hatte, einen Rekord abzujagen. Indem er in einer historisch nie dagewesenen Pechsträhne alle 17 Auswärtsspiele am Stück verlor. Nur der Club ist wegen eines Phantomtores abgestiegen. Und das auch noch gegen die Bayern. Der Ball war ganz klar und eindeutig neben das Tor gerollt. Der Schiri pfiff es trotzdem. Der Club war auch der einzige Verein, der jemals als deutscher Meister abgestiegen ist. Um dann gleich noch einen drauf zu setzen und als Pokalsieger abzusteigen.
Ein wunderbar Club-typisches Eigentor war auch der Abgang der Legende Willi Entenmann. Den hatte man nach allen Regeln einer kunstvollen fränkischen Kabale eingefädelt: Nach der zu erwartenden Niederlage gegen Bayern sollte der ungeliebte Trainer abgesägt werden. Ausgerechnet diesmal war der Club gegen seinen Erzfeind siegreich. Entenman wurde trotzdem gegangen.
Von den Leiden eines Glubberers
Peter hat mit dem 1. FCN alle Höhen und Tiefen durchgemacht. Mehr Tiefen als Höhen. Gefeiert und gelitten. Vor allem gelitten. Eine solide Portion Pessimismus ist immer mit im Spiel. Denn über dem Club hängt stets das Damoklesschwert der Zweitklassigkeit. Das Drama geht nur in die nächste Runde und hinter jedem Spiel lauert das tiefe, dunkle Abstiegsloch.
Der Glubberer freut sich nicht auf ein schönes, spannendes Match, wenn er ins Stadion geht. Er weiß nämlich ganz genau, dass ansonsten sowieso wieder nur ein versauter Nachmittag dabei herum kommt. Der Glubberer stellt sich lieber vorher schon einmal mental darauf ein, dass es sehr schlimm wird. Dann wird es vielleicht nur halb so schlimm.
Warum tut er sich das eigentlich an? Das kann sich der Peter auch nicht erklären. Die Sonntagszeitung mit den Spielergebnissen liest er nur bei erfolgreichen Spielen. Dazu zählen ja zum Glück auch die Unentschieden. Man stumpft halt ab mit der Zeit. Lernt irgendwann sogar, aus einem versauten Nachmittag beinahe übergangslos noch einen gelungenen Abend zu machen.
1999 hat es dem Peter tatsächlich noch einmal die Tränen in den Augen getrieben. Beim Abstieg. Am letzten Spieltag. Von einem sicheren Mittelfeldplatz aus. Die Tränen sind schon lang versiegt. Es geht eben nicht ohne den Club. Egal, wo auf der Welt der Peter gerade unterwegs ist – der Live-Ticker ist immer dabei.
Hier ist Nürnberg, wir melden uns vom Abgrund...
Die Sache mit den zu erwartenden Niederlagen gehört übrigens zu den klassischen Club-Ritualen: Man geht in der festen Überzeugung zum Spiel, dass es auch diesmal nichts wird. Nur dann kann es überhaupt etwas werden. Hätten sich alle daran gehalten, wäre auch das nicht passiert:
1999 beschloss der Club, anlässlich des zu erwartenden Verbleibs in der 1. Liga die Eintrittspreise zu erhöhen. Auch die Nichtabstiegsfeier war bereits geplant. Das Spiel bescherte den Fans die 15 spannendsten und zugleich leidvollsten Minuten der Nürnberger Fußballgeschichte. Kommentator Günther Koch, fassungslos angesichts des entscheidenden Tors der Freiburger: "Hallo, hier ist Nürnberg, wir melden uns vom Abgrund..." Abstieg von Platz 14. Die Preise wurden trotzdem erhöht.
*) Klaus Schamberger in der Nürnberger Abendzeitung