Albrecht Dürer zum 550. Geburtstag: Narziss oder genialer Marketingstratege?
Wir schreiben das Jahr 1500: Deutschland hat einen neuen Superstar. Albrecht Dürer, gerade 30 Jahre alt, wird von den deutschen Schriftstellern als aufgehender Stern am Horizont der Kunst gefeiert.
Meister des Sensationsjournalismus und der Selbstinszenierung
„Kunst muss gewaltig sein", so Dürer, „der Künstler gewaltzam".
Er will beim Betrachter Gefühle wecken, von der Handlung überzeugen, inszeniert die Dramaturgie seiner Werke wie ein Regisseur seine Filme. Zum Beispiel 1498 in der „Apokalypse", dem ersten großen, von ihm selbst verlegten und gedruckten Werk: Die Jahrhundertwende stand kurz bevor und, damals wie heute, geisterten regelmäßig düstere Weltuntergangsszenarien durch die mittelalterliche Gesellschaft. Dürer erkannte als einer der ersten das Potenzial des soeben erst erfundenen Buchdrucks und erwarb zu diesem Zweck sogar eine eigene Druckerpresse.
Mit seiner dramatischen Inszenierung der Offenbarungen des Johannes schürt Albrecht Dürer die allgemeine Hysterie und greift dabei zu Mitteln, die moderne Massenmedien heute routiniert bedienen: Er befriedigt die Neugier, die Lust auf Unerhörtes, noch nie Gesehenes.
Sensationen medienwirksam inszeniert
Seine Werke leben von ins Bild gesetzten Ängsten vor Krankheiten, Krieg und Katastrophen. Er nutzt auch das Flugblatt als Sensationsmedium und versieht die drastischen Schilderungen, zum Beispiel zur damals gerade erst bekannt gewordenen „Lustseuche" Syphilis, mit erschütternden Bildern.
Das Einkommen eines freischaffenden Künstlers war dürftig: Für ein Exemplar der Apokalypse konnte Dürer gerade einmal einen halben Gulden einstreichen. Ein ordentlicher Festschmaus schlug damals mit zwei Gulden zu Buche. Und der Nürnberger Maler war für seine ausgiebigen Zechgelage bekannt. Dürer soll auch beklagt haben, dass sich das Anfertigen umfangreicher Gemälde aufgrund des hohen Aufwands kaum rentiere. Er erhielt etwa 20 bis 30 Gulden, also das Jahresgehalt eines einfachen Handwerkers, für ein kleines Gemälde.
Narziss oder genialer Marketingstratege?
Dürer umgab sich gerne mit den Wohlhabenden, Mächtigen und Wichtigen in der Reichsstadt. Er verkehrte mit der Nürnberger Prominenz. Mit Autoritäten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Handwerk. Diese guten Beziehungen erwiesen sich sowohl für seine Reputation als auch für sein wirtschaftliches Fortkommen als außerordentlich förderlich.
Anton Koberger, sein Patenonkel und der erfolgreichste Medienunternehmer seiner Zeit, druckte seine ersten Werke. Ssein bester Freund Willibald Pirckheimer, der berühmte Humanist und Berater Kaiser Maximilians, vermittelte ihm wertvolle Kontakte. In diesem Umfeld eröffnete sich Albrecht Dürer mit der Porträtmalerei einen außerordentlich lukrativen Markt und war darin in Nürnberg bald konkurrenzlos. Seine Selbstbildnisse dienten ihm dabei als Referenzen - als verkaufsfördernde Argumente zur Gewinnung von Kunden. Er war mit dieser damals ungewöhnlichen Marketing-Strategie so erfolgreich, dass es ihm gelang, zahlreiche Aufträge hochstehender Persönlichkeiten zu akquirieren, für die er repräsentative Porträts anfertigte.
Unverwechselbar
Der Erfolg seiner Strategie lag auch darin begründet, dass seine Kunstwerke unverwechselbar und eng mit seiner eigenen Person verquickt waren. Dürer ist der erste Künstler überhaupt, der seine Grafiken systematisch namentlich zeichnet und der sein „Logo" kontinuierlich im Hinblick auf Wiedererkennungswert und Alleinstellungsmerkmal optimiert: Dem Betrachter prangt, meist an sehr markanter Position, das Monogramm Albrecht Dürers entgegen. Und: Der Maler verewigt sein eigenes Antlitz in zahlreichen Gemälden.
Die Selbstdarstellung, so die Humanismuskritik später, sei ein allgemeines Phänomen seiner Epoche gewesen. Nun, zumindest darin hat diese sich offenbar kaum vom derzeit herrschenden Zeitgeist unterschieden. Der große Nürnberger Künstler ging spektakuläre Wege und hat Geschichte geschrieben. Dürer hat sich und sein Werk ganz unbestritten auf so geniale Weise selbst inszeniert und vermarktet, dass jeder moderne Marketing-Stratege angesichts seines bis heute währenden Erfolgs schlicht vor Neid erblassen muss.