Johannisfriedhof Nürnberg

Tod und Sterben - zwischen Tabu und Kommerz

Je älter wir werden an Jahren, desto öfter begegnen wir dem Tod. Verwandte und Freunde verlassen uns. Manchmal nach langer Krankheit, manchmal plötzlich und vollkommen unerwartet, so dass wir uns nicht einmal von ihnen verabschieden können. Besonders hart und schmerzlich trifft uns der Tod von sehr jungen Menschen. Er lässt uns fassungslos zurück und ohne Worte. Wir begreifen, dass mancher Verlust für die nahen Angehörigen nur sehr schwer und manchmal gar nicht zu verkraften ist. Zum Beispiel die Mutter eines verstorbenen Kindes.

Unsere Gesellschaft macht es den Angehörigen nicht leichter. Der Tod ist ein Tabu. Gerade einmal ein paar Tage Auszeit werden uns zugestanden, wenn wir einen Menschen verloren haben. Dann erwartet man wieder vollen Einsatz von uns. Wir sollen funktionieren, vergessen und verdrängen. Zum Beispiel im Arbeitsleben, wo Leiden ohnehin verpönt und der Mensch nur als Produktionsfaktor von Bedeutung ist. Ökonomisch wertvoll ist eben nur der gesunde, der uneingeschränkt arbeitsfähige Mensch. In der Konsequenz können wir mit Sterben und Tod kaum noch umgehen. Wir sind hilflos.

Bis zum bitteren Ende

Die Bedürfnisse der Hinterbliebenen werden konsequent ignoriert. Noch viel schlimmer trifft das Tabu die Sterbenden selbst. Besonders dann, wenn diese ihre letzten Tage auf der Intensivstation zubringen müssen. Die meisten Menschen wünschen sich, friedlich zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung gehen zu dürfen, doch das ist immer seltener der Fall.

Immer öfter fristen Sterbende ein unwürdiges Dasein in der liebloser Atmosphäre. In der sterilen Isolation von Krankenhäusern, verdrahtet mit technischen Geräten, Infusionen und Kathedern. Selbst im Sterben sollen sie gefälligst noch so funktionieren, dass sie niemandem zur Last fallen. Bis sie schließlich in den dunklen Keller abgeschoben werden. Weil das Bett längst für den nächsten zahlenden Patienten reserviert ist.

Auf dem Weg zum Tod wird das, was gerade noch ein Mensch war, zur leblosen Sache. Wertvoll bestenfalls noch als Materiallager für anderweitig dringend benötigte Ersatzteile. Dort, wo Sterben zum Alltag gehört, ist Rationalisierung oberstes Gebot. Der Respekt vor dem Tod fällt der täglichen Routine und dem betriebswirtschaftlichen Denken zum Opfer. Sogar die Seelsorge ist inzwischen zur professionellen Dienstleistung verkommen und wird sozusagen mit der Stoppuhr abgewickelt. Wie soll jemand in dieser Umgebung seinen Frieden finden?

Verdrängung, Tabu, Kommerz

Auch bei uns gehörte es lange zur Tradition, die Toten drei Tage aufzubahren. Dahinter stand der für die allermeisten Menschen nachvollziehbare Gedanke, dass die Seele des Verstorbenen sich nur allmählich vom Körper löst. Man gewährte ihr eine möglichst ungestörte Zeit des Übergangs in eine andere Welt, damit sie auf ihrer Reise keinen Schaden nahm. Auch die Angehörigen konnten diese Zeit nutzen, um sich zu verabschieden, sich mit dem Verstorbenen auszusöhnen und ihn in Frieden ziehen zu lassen. Dieser Brauch wich einer unflexiblen Bestattungsgesetzgebung, nach der ein Leichnam bereits innerhalb denkbar kurzer Frist (24 - 36 Stunden je nach Bundesland) aus dem häuslichen Bereich entfernt werden muss. Diese Entwicklung entsprach einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend:

Mit den Toten wurde auch die Realität des Sterbens aus dem häuslichen Bereich entfernt, gründlich aus unserem Leben ausgemerzt und aus unserer Wahrnehmung verbannt. Alles, was mit Tod und Sterben zu tun hatte, wurde mehr und mehr tabuisiert. Mit einigem Zynismus könnte man sogar behaupten: wir haben den Tod erfolgreich outgesourct. Sämtliche Dienstleistungen rund um Tod und Sterben wurden an einen eigens darauf spezialisierten und hochprofessionellen Industriezweig delegiert. Und damit in absurder Weise kommerzialisiert - wie den gesamten Rest unseres Lebens.

Das Recht auf einen würdigen Tod

In Artikel 1 (1) unseres Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie bleibt es bis in den Tod und darüber hinaus. Die gängige Praxis im Umgang mit Sterbenden ist mit diesem Grundsatz kaum noch vereinbar, denn ein menschenwürdiges Dasein beinhaltet auch das Recht auf einen friedlichen Tod – eine Forderung in der praktisch alle religiösen und spirituellen Traditionen übereinstimmen. Wir können den Menschen – und damit letztlich uns selbst - nur dabei helfen, auf eine gute Art zu sterben, indem wir uns mit dem Tod bewusst auseinandersetzen und ihn als festen Bestandteil des Lebens wieder in unsere Realität, in unser Bewusstsein zurückholen.